Boa, Attila
Zur Verteidigung der Traurigkeit
Essay

104 Seiten, 19x12cm Broschur, 13€


herausgegeben von Richard Pils

ISBN 978-3-99028-359-2
© Verlag Bibliothek der Provinz
www.bibliothekderprovinz.at

   
 

[...] Ist es nicht an der Zeit, wirklich außer Acht zu lassen, was ich nicht mehr glauben kann? An der Zeit, jener Logik
einen Raum zu geben, die sich hinter meiner Traurigkeit verbirgt? Der Versuch einer kleinen,
privaten, von der Hoffnung befreiten Anthropologie. Der Versuch zu einer Expertise der Nüchternheit.

 

[…] Welche Leichtigkeit hat dagegen die Entscheidung, gegen eine bestimmte Unterdrückung oder
Ungerechtigkeit, gegen irgendeinen Zustand – oder auch gegen beliebige Windmühlen zu kämpfen.
Der Unterschied scheint akademisch, ist aber fundamental: Alle Bestrebungen, die aus dem Bewusstsein des Guten heraus
begründet wurden, sind zu Katastrophen ausgeartet. Erst im Namen des Guten wird der Mensch wirklich bestialisch.

 
           

Alexander Sury, "Der Bund" 25.8.2015

Nicht geboren werden ist das Beste

Radikal: Der Berner Attila Boa holt aus zur «Verteidigung der Traurigkeit».

Im Dezember 2013 brach er zusammen mit dem Regisseur Michael Glawogger und einem Tonmann auf zu einem «Doku-Experiment» ohne vorgefertigtes Konzept. Der in Bern geborene Kameramann Attila Boa («More than honey») filmte auf dem Balkan, in der Sahara und in Westafrika. In Liberia endete die für die Dauer von rund einem Jahr geplante Reise indes abrupt, Regisseur Glawogger starb überraschend an den Folgen einer Malaria-Erkrankung. Ein Schock für die Crew-Mitglieder, der zweifellos auch eine grosse Traurigkeit auslöste, Trauer über den plötzlichen Verlust eines Weggefährten.
Der 49-jährige Boa zielt allerdings in seiner ersten Buchpublikation nicht auf diese an einen konkreten Auslöser gebundene Traurigkeit ab – sein Essay «Zur Verteidigung der Traurigkeit» versucht vielmehr einen Seinszustand mit grösstmöglicher Präzision zu durchleuchten. Es herrscht ein nüchterner, analytischer, zuweilen auch ein dem Gegenstand angemessener trauriger Tonfall. Als unhöflich gelte es in unserer Gesellschaft, traurig zu sein, weiss Boa, den es verstosse gegen die «Etikette». Der Kameramann stellt als Autor die Blende seines Schreibobjektivs so ein, dass kaum mehr Licht durch den Strahlengang gelangt – entsprechend düster ist dieses Menschenbild, mitunter fast nachtschwarz. «Natürlich bin ich traurig, muss das noch gesagt sein?», heisst es auf den ersten Seiten. Fremd und isoliert fühlt sich dieser Mensch in der Welt, fremd sind ihm seine Gedanken und Gefühle, keine Ideen entfalten eine rettende Kraft, die im Moment Nähe schaffende Liebe zwischen zwei Menschen ist nur «beginnende Entfernung». Selbstmord wird als unbefriedigende Option verworfen, weil über die Tötung des eigenen Körpers hinaus keine Gewissheit besteht, dass dann wirklich «alles vorbei» ist.
Man folgt Boas stilistisch eleganter Beweisführung nicht zuletzt darum gespannt, weil er seine Gedanken immer wieder aphoristisch zuzuspitzen weiss. So notiert er im Zusammenhang mit der Erörterung des Selbstmords: «Wären wir zur Tätlichkeit an unserer Seele fähig, wir würden uns routinemässig ihrer entledigen.» Der gewaltige Einfluss des rumänischen Philosophen und Aphoristikers Cioran und seiner radikalen Kulturkritik ist nicht zu überlesen. Auf seiner Homepage zitiert Boa ihn prominent: «Das Licht ist eine Halluzination der Nacht.» So hoffnungslos sich die Lage präsentiert, die Tugend der Traurigkeit ist dennoch nicht zu unterschätzen. Nicht nur ist der traurige Mensch besonders hellhörig für falsche Empfindungen, er ist auch immun gegen religiöse und andere Wahnideen und deshalb unverzichtbar für das Überleben der menschlichen Gattung. Und es zeigt sich ein Silberstreifen am Horizont, ein fast buddhistisch zu nennender Trost: Das Überwinden «jahrzehntelanger Selbstquälerei durch die Anerkennung der eigenen Nichtigkeit». Boa hat diesen «weissen Fleck» schon als Kind gemalt.

 

 

Isabella Kresse, Filmbar 2013

"Du schreibst wie ein siebzigjähriger Hassprediger"